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Rezensionen

(zweiter Teil der Rezension über Brentano)

Zur Begründung der Kategorien

Die Stärke der Dissertation besteht in der Begründung der Kategorien, die bereits Interpretation ist und über Aristoteles hinausgeht. „Sein“ kann keine Gattung sein, denn es enthält als Begriff Widersprechendes wie Totes und Lebendiges. Deshalb sind die obersten Seinsgattungen die Kategorien, die zugleich Prädikationsweisen der Kategorie Substanz sind. Der Unterschied zwischen Substanz und den „absoluten“ (d. h. das Wesen bestimmenden) Akzidenzien ist fundamental, denn ein Akzidenz kann nicht von einem anderen Akzidenz als Substrat prädiziert werden. Akzidenzien benötigen eine Substanz, an der sie Eigenschaften darstellen. Die Kategorien drücken die verschiedenen Verhältnisse der Prädikate zur Substanz aus. Die Substanz ist ein für sich Bestehendes, sie ist Substrat aller Prädikate. Brentano will nun zeigen, dass die Kategorien mit einer Art innerer Notwendigkeit sich entwickeln ließen (S. 177). Er wendet sich gegen den Vorwurf von Kant und Hegel, „Aristoteles habe aufs Geratewohl zugreifend eine runde Zahl allgemeiner Begriffe zusammengerafft“ (S. 166).
Brentano ist der Ansicht, „daß die Zahl und Verschiedenheit der höchsten Gattungen der Zahl und Verschiedenheit der Arten der Prädicirung entsprechend sei, weil nämlich alle Kategorien und jede nach einer besondern Weise der Prädication von der ersten Substanz ausgesagt werden, so zwar daß nur mögliche Prädicationsweisen vertreten sind, und weil gerade in dieser Eigentümlichkeit der Prädicationsweise das eigenthümliche Verhältniß der Kategorie zur ersten Substanz und somit das eigenthümliche Sein der Kategorie den deutlichsten Ausdruck finden.“ (S. 110)
Die erste Substanz ist das individuelle Seiende, das Einzelding, es ist das für sich bestehende Seiende, auf das alle anderen Prädikationen bezogen sind. Prinzip der Einteilung der Kategorien ist ihre Funktion als Aussageweisen, die zugleich oberste Seinsweisen sind. Daher sind die Kategorien als Kategorien „nicht selbst unmittelbar Prädicate, sondern sie bezeichnen nur den Ort für gewisse Prädicate“ (Zeller, zitiert nach Brentano, S. 111, Anm. 140). Widersprüchliches bei der Prädikation substanzieller Begriffe kann es nicht zwischen den Kategorien geben; Widersprüche kann es nur innerhalb einer Kategorie geben, sodass wir sie bei der Bestimmung von Seienden ausschließen können (z. B. den Widerspruch: „Ein Hund ist groß und zugleich klein“, in Bezug auf die Kategorie Quantität). „derselbe Begriff kann nicht direkt in zwei disparate Gattungen zu stehen kommen“ (S. 190). Im Einzelnen nimmt Brentano acht Kategorien an: die Substanz und die akzidentellen Kategorien: Qualität, Quantität, Handeln, Leiden, Raum (wo), Zeit (wann) sowie die zufälligen Akzidenzien. Er unterscheidet die akzidentellen Kategorien noch nach den Kategorien der Inhärenz (Qualität/Quantität), der Bewegung (Handeln/Leiden) und der Relativa (Raum/Zeit) (S. 158). Aristoteles selbst spricht sowohl von acht als auch von zehn Kategorien. Brentano weist aber, soweit ich das beurteilen kann, schlüssig nach, dass “Haben“ und „Lage“ nur eine unsichere Stellung als Kategorien haben. So ist die Lage teils räumlich, teils zeitlich, fällt also unter die Kategorien von Raum und Zeit. Wenn Brentano allerdings Aristoteles berichtigt, statt zehn nur acht Kategorien zu haben, dann gibt er indirekt und partiell Kant und Hegel recht mit ihrer Kritik an der aristotelischen „Begründung“ der Kategorien.

Kritik an Franz Brentano

Brentano geht es darum, die „ursprüngliche Übereinstimmung von logos und on in der Aristotelischen Philosophie wiederherzustellen“ (S. XXII). Ich werde aber zeigen, dass er von diesem Anspruch in seinen späteren Schriften abrücken wird.
Brentano hält sich offen und unterschwellig, sodass es nicht immer erkennbar ist, an Thomas von Aquin. Das führt in einigen Fällen, insbesondere in Bezug auf die Theologie, zu charakteristischen Umdeutungen der ursprünglichen Aussagen von Aristoteles. Für diesen ist die Analogie bloß eine äußerliche Vereinheitlichung, so wie Nahrung, Gesichtsfarbe, Urin die Gesundheit ausdrücken können, sie werden analog (nach der gleichen Logik) zur Gesundheit bezeichnet. Brentano geht mit seinem Begriff der Analogie aufgrund seiner scholastischen Ausbildung über Aristoteles hinaus und wendet sie auch auf die kategorialen Bestimmungen in Bezug auf die Substanz (ousia) an, d. h. als pros-hen-Struktur. Der Grund für diese Abweichung von den aristotelischen Texten liegt darin, dass die Substanz der materiellen Dinge und die Substanz Gottes nicht zusammenfallen dürfen, eine neuplatonische Position, die zum Pantheismus führt. Andererseits darf es nach Thomas von Aquin und Brentano auch keine unüberbrückbare Kluft zwischen Gott und der Welt geben. Deshalb wird das Verhältnis der Analogie des Seienden nicht nur vertikal angewandt wie bei Aristoteles, sondern auch horizontal, nicht nur als Analogie von Verschiedenem, sondern auch als Analogie zwischen dem Seienden und dem göttlichen Sein, das ens a se ist. Die Gottheit ist Substanz, aber nicht die erfahrbaren seienden Substanzen, diese sind nur per Analogie substanziell (vgl. dazu die Einleitung S. XXXIII ff.). Durch diese theologische Position wird es möglich, Gott und die seiende Welt zusammen zu denken, ohne in den Neuplatonismus zurückzufallen, der alles erfahrbare Seiende als Emanation aus dem Einen hervorgehen lässt. (Ganz abgesehen davon, dass der Gott von Aristoteles als Erster Beweger kaum etwas mit dem christlichen Gott zu tun hat.)
Günther Mensching schreibt über die Bedeutung der analogia entis:
„Thomas hat im analogen Seinsbegriff dieses Verhältnis, in dem das Verschiedene zur Einheit steht, substantialisiert. Das war notwendig, um den Pantheismus zu vermeiden, der mit einem rein univoken Seinsbegriff einhergeht. Die Theologie, die seit jeher die absolute Einheit des Seins mit Gott identifizierte, stand schon bei Scotus Eriugena in dem Verdacht eines geheimen Pantheismus. Die Metaphysik des Thomas von Aquin distinguiert deshalb zwischen dem Sein und Gott: 'Wenn nun das Sein Gottes das Sein eines jeden Dinges wäre, so würde folgen, daß Gott, der sein Sein ist (qui est suum esse), eine Ursache hätte und so nicht durch sich seinsnotwendig wäre.‘ (C.g. I, c. 26)“ (Mensching: Thomas, S.102)
Bei Aristoteles ist Metaphysik und Ontologie noch nicht geschieden. Thomas von Aquin, der bereits auf den frühen Nominalismus reagieren muss, kann ontologische Bestimmungen nur noch durch die erkenntnistheoretische Reflexion hindurch begründen. Letztlich werden sie durch Gott verbürgt. Erweist sich in der weiteren Entwicklung der Philosophie die Reflexion über Gott als Reflexion des menschlichen Selbstbewusstseins, gilt also fortan credo quia absurdum, dann tritt eine neue Gestalt des Verhältnisses von Denken und Realität auf, der Nominalismus. In seiner geistigen Biografie hat Franz Brentano diese Entwicklung nachvollzogen mit seinem Buch „Psychologie vom empirischen Standpunkt“. Exemplarisch steht dafür der Begriff der „Intentionalität“, den es schon in der mittelalterlichen Philosophie gab und der dann wieder über Husserl Karriere gemacht hat. Intentionalität bedeutet die Beziehung des Bewusstseins auf etwas. „Ich kann niemals einfach feststellen: ‚ich empfinde‘, ‚ich stelle vor‘, ‚ich urteile‘ (…), sondern muß stets, soll meine Rede überhaupt Sinn haben, dasjenige angeben, worauf ich in den genannten Erlebnissen bezogen bin. Ich muß also sagen ‚ich empfinde etwas‘ (…).“ (Stegmüller: Hauptströmungen, S. 3) Der Zweck dieser Intentionalität ist es, die Gattungsmerkmale so anzugeben, wie sie allen Einzelheiten in derselben Weise zukommen. „Jedes Bewußtsein ist eo ipso Gegenstandsbewußtsein.“ (Ebd.) Allerdings ist nun der Gegenstand nicht als ontologischer gedacht, sondern nominalistisch im weitesten Sinn auf ein Bewusstseinsobjekt, auf Erlebnisse, die psychisch sind, bezogen. „Die Intentionalität findet im physischen Bereich kein Analogon.“ (A. a. O., S. 4) Wenn aber „wahr“ und „falsch“ allein auf „psychische Akte“ bezogen sind, dann stellt sich die Frage, was diese Akte mit der extramentalen Realität (dem wirklich Seienden), zu tun haben? Ein solcher Bezug wäre z. B. das Praxiskriterium, mit dem Kant seine „Kritik der reinen Vernunft“ beginnt, indem er sich auf das Experiment und auf die faktische Wahrheit von Mathematik und Newtonscher Naturwissenschaft bezieht. (Gäbe es deren Wahrheit nicht, dann gäbe es keine Industrialisierung, gäbe es diese nicht, keine moderne Gesellschaft, wie sie heute existiert.)
Lässt sich kein Bezug, wie vermittelt auch immer, zur ontologischen Sphäre dartun, dann haben unsere Urteile wie bei Habermas keinen Grund, gegenteilige Urteile könnten ebenso als wahr gelten. Brentano begründet seine psychische Intentionalität und seinen Nominalismus mit dem Argument: Wahrheit als „adaequatio intellectus ad rem“ könne es nicht geben, denn gäbe es diese Übereinstimmung, dann müsste es ein materiales Wahrheitskriterium dafür geben. (Das ist insofern richtig, als es kein allgemeines Wahrheitskriterium für die Erkenntnis sachlicher Dinge geben kann, denn diese sind verschieden, ein allgemeines Kriterium gälte für alle, was unmöglich ist  – nach Kant kann es nur ein allgemeines formales Wahrheitskriterium geben: die Logik; das heißt aber nicht, dass es keine besonderen Wahrheitskriterien für die einzelnen Gegenstandsbereiche und Gegenstände gibt!) Dieses allgemeine Kriterium bedürfte nach Brentano wiederum eines Kriteriums usw., sodass diese Rechtfertigung auf einen unendlichen Regress hinausliefe, also keine Begründung sei, da dieser Regress willkürlich abgebrochen werden müsste. Diese Auffassung von Brentano läuft auf einen Skeptizismus hinaus, den Aristoteles glaubte überwunden zu haben, als er die ontologische Fundierung der Urteile forderte (vgl. Gaßmann: Grundlagen, S. 129 – 132)
Damit dennoch die Objektivität der Urteile gesichert werden kann, führt Brentano sein „Erlebnis der Evidenz“ ein, das nicht weiter definierbar sein soll (Stegmüller: Hauptströmungen, S. 11). Man könne sie nur erleben im Vollzug unmittelbar einsichtiger Urteile. Deren Allgemeingültigkeit folgt aus der Evidenz. Es sei unmöglich, dass ein anderer das Gegenteil dieses „Überzeugungsgefühls“ einsehen könne. Auch sei die „apodiktische Evidenz“ keiner Steigerung fähig. Stegmüller (a. a. O., S. 46 ff.) kritisiert an dieser Auffassung, diese Evidenz müsste eindeutig von einer bloß subjektiven Gewissheit unterscheidbar sein. Daraus folgt die Frage nach einem Kriterium dieser Unterscheidung. Nimmt man an, es gäbe solch ein Kriterium, so müsste man auch ein Kriterium für die Evidenz dieses ersten Kriteriums angeben usw., das aber führt ebenfalls zu einem unendlichen Regress, also zu keiner Begründung des Kriteriums. Man kann sich auch nicht auf Fakten beziehen wie bei der wahren Wissenschaft als Bedingung der Möglichkeit unserer heutigen Existenz, denn Evidenz ist bloß ein „Erlebnis“, also rein Psychisches. Wenn es aber keinen eindeutigen Unterschied von Evidenz und subjektiver Gewissheit gibt, sind wir wieder beim Skeptizismus, den der Begriff der „Evidenz“ vermeiden wollte.
Aristoteles hat noch eine andere Art der Begründung von Prinzipien, nämlich den indirekten oder apagogischen Beweis, mit dem er z. B. den Satz des zu vermeidenden Widerspruchs begründet (vgl. das 4. Buch seiner „Metaphysik“). Aus diesem Satz folgt aber zwingend die ontologische Fundierung unserer Urteile über seiende Gegenstände.
So kann man paradox formulieren, Brentano als Aristoteliker wendet sich zu Recht in seiner Dissertation gegen die Tendenz seiner Zeit zum Empirismus, um dann selbst in seiner eigenständigen Wissenschaftstheorie empiristischen Tendenzen aufzusitzen, indem er aristotelische Erkenntnisse vergisst. Das hat seinen Grund auch darin, dass seine Dissertation mehr Philologie als Philosophie ist.

In der Rezension erwähnte Literatur:

Gaßmann, Bodo: Die metaphysischen und ontologischen Grundlagen des menschlichen Denkens. Resultate der kritischen Philosophie, Garbsen 2012.

Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft. Nach der ersten und zweiten Original-Ausgabe neu herausgegeben von Raymund Schmidt, Hamburg 1976. (KrV)

Mensching, Günther: Thomas von Aquin, Reihe Campus. Einführungen, Ffm./New York 1995.

Mensching, Günther: Das Allgemeine und das Besondere. Der Ursprung des modernen Denkens im Mittelalter, Stuttgart 1992.

Stegmüller, Wolfgang: Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie. Eine kritische Einführung. Band 1, Stuttgart 1978.

Der vom Rezensenten benutzte Referenztext:

Aristoteles: Metaphysik. In der Übersetzung von Hermann Bonitz. Neu bearbeitet, mit Einleitung und Kommentar herausgegeben von Horst Seidl. 2 Bde. Griechisch – Deutsch, Hamburg 1978 und 1980.


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